veröffentlicht am 19.08.2025 10:47
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Interviews
Wirtschaft, Netzwerken, Netze & Netzanschluss

„Politische Unsicherheit darf den Aufschwung im Süden nicht abbremsen“

Am 2. Oktober 2025 lädt der Windbranchentag Baden-Württemberg in Böblingen zum gemeinsamen Dialog. Was bewegt die Branche im Südwesten? Im Gespräch gibt Dr. Matthias Pavel, stellvertretender Landesvorsitzender des BWE Baden-Württemberg, einen Ausblick auf die spannendsten Themen.

Es sind politisch bewegte Zeiten: Die neue Bundesregierung ist seit fast 100 Tagen im Amt, im März stehen die Landtagswahlen in Baden-Württemberg an. Wie ist die Stimmung im Südwesten?

Dr. Matthias Pavel: In unserer Brust schlagen gerade zwei Herzen. Einerseits herrscht Aufbruchstimmung: In Baden-Württemberg gibt es aktuell eine Planungsoffensive, nach der bis zum 30. September die Regionalplanung stehen soll. Deswegen haben wir derzeit enorme Antragszahlen, für mehr als 1.000 neue Windkraftanlagen. Andererseits schauen wir besorgt nach Berlin, weil da nun einiges auf dem Prüfstand steht, unter anderem das für uns so wichtige Referenzertragsmodell. Diese bundespolitische Unsicherheit darf den Aufschwung, den wir gerade in Baden-Württemberg erleben, nicht abbremsen.

Beim Ausbau der Windenergie ist im Südwesten noch viel Luft nach oben.

MP: Das ist schon sehr freundlich ausgedrückt. Bei den Genehmigungszahlen liegen wir, selbst hinter anderen Problemkindern wie Bayern, deutlich zurück. Im Unterschied zu anderen Bundesländern sind wir sehr spät in die Regionalplanung eingestiegen. In vielen Regionalverbänden gibt es keine bebaubaren Vorranggebiete. Die wenigen, die es gibt, sind in der Regel bereits bebaut. Deshalb haben sich auch die Erleichterungen durch § 6 WindBG bei uns praktisch noch nicht ausgewirkt, weil es bisher schlicht keine Anwendungsfälle gab. Wir sehen aber, dass die Genehmigungsverfahren inzwischen schneller laufen und dass auch die Stellungnahmen der öffentlichen Träger schneller kommen.

Worin liegen derzeit die größten Hindernisse?

MP: Für Windkraft-Projekte gibt es derzeit vier große Herausforderungen. Zum einen die Planungssicherheit: Wir brauchen klare und schnelle Entscheidungen, welche Flächen für Windkraft genutzt werden dürfen. Dann die wirtschaftliche Sicherheit: Es gibt die Sorge, dass die Vergütung für den produzierten Strom sinkt. Daher ist es wichtig, Projekte möglichst schnell umzusetzen, solange die Bedingungen noch gut sind. Ein weiteres Problem ist der Netzausbau: Viele Projekte werden im ländlichen Raum geplant, wo das Stromnetz oft nicht stark genug ist. Aber ohne Netzanschluss bringen die ganzen Genehmigungen nichts. Und schließlich die Kapazität der Lieferanten: Lange Lieferzeiten bei wichtigen Bauteilen wie Transformatoren können die Fertigstellung von Projekten weiter verzögern.

Den ersten Punkt, die fehlende Planungssicherheit, könnte die aktuell laufende Planungsoffensive beheben: Im Herbst werden die neuen Regionalpläne veröffentlicht. Wie geht es hier weiter?

MP: Die genauen Zeitpläne der regionalen Verbände sind derzeit unklar, aber es werden vermutlich nur wenige der zwölf Verbände die Frist am 30. September halten können. Für Projektierer wie uns bedeutet das viel Unsicherheit. Wir investieren bereits Geld in die Planung von Projekten, ohne zu wissen, ob die Flächen am Ende überhaupt genehmigt werden. Je länger sich die Prozesse hinziehen, desto größer wird das finanzielle Risiko für uns. Wenn wir Pech haben, ändern sich in dieser Zeit die wirtschaftlichen Bedingungen, sodass einige Projekte, die anfangs gut aussahen, am Ende vielleicht nicht mehr umsetzbar sind. Die Flächenausweisung hat ja ein Ziel, nämlich, dass dort irgendwann Windkraftanlagen Strom produzieren.

Für weitere Sicherheit soll die nun beschlossene RED-III-Richtlinie sorgen. Was bedeutet die Umsetzung für den Südwesten?

MP: Wir müssen abwarten, wie sich die Regelungen in der Alltagspraxis auswirken. Es gibt noch viele offene Fragen zu den Beschleunigungsgebieten in Baden-Württemberg. Die größte Sorge ist, dass es eine Lücke gibt: Es könnte sein, dass neue Flächen zwar ausgewiesen werden, die Gesetze aber noch nicht für diese Gebiete gelten. Das würde bedeuten, dass der Ausbau langsamer vorankommt. Die Landesregierung muss eine Lösung finden, damit der Übergang zu den neuen Gesetzen möglichst reibungslos verläuft.

Für die wirtschaftliche Sicherheit ist das Referenzertragsmodell ein wichtiger Baustein. Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll dieses nun auf den Prüfstand. Wie betrachten Sie diese Entwicklungen?

MP: Das Referenzertragsmodell funktioniert aus süddeutscher Sicht sehr gut. Daher sehen wir die aktuellen Überlegungen sehr kritisch. Wenn wir Geld in die Planung von Projekten investieren, müssen wir sicher sein, dass diese am Ende auch wirtschaftlich rentabel sein können. Besonders riskant wäre eine komplette Änderung des derzeitigen Vergütungssystems. Das würde die Umsetzung vieler Projekte in Baden-Württemberg gefährden. Dadurch hätten auch die Unternehmen ein Problem, die auf die Windenergie angewiesen sind. Der Strom wird dringend gebraucht. Deshalb arbeiten wir eng mit der Wirtschaft und der Industrie zusammen, um den Ausbau in der Region voranzutreiben.

Das Thema Netzausbau steht aktuell wieder häufiger im Fokus der politischen Debatte. Kommt Baden-Württemberg hier schnell genug voran?

MP: Nein. Dabei ist doch die Frage: Wer muss sich eigentlich nach wem richten? Sollen wir deshalb die Erneuerbaren ausbremsen? Oder wäre es nicht viel besser, wenn die Netzbetreiber schneller ausbauen, um den Strombedarf zu decken? Das hat auch das Land erkannt und führt mit dem Projekt SyNEA (Synchronisation von Netzen und Energie-Ausbauten) den angestoßenen Dialogprozess fort. Wir begrüßen diese Initiative, wünschen uns aber, dass Netzanfragen einfacher und schneller umgesetzt werden, bis die technischen Voraussetzungen geschaffen sind. Der Ausbau muss Hand in Hand gehen.

Also ist die Windkraft auch im Südwesten ein Erfolgsmodell?

MP: Windkraft ist wirtschaftlich, auch hier in Süddeutschland. Es wird oft behauptet, dass die staatliche Förderung Projekte ermöglicht, die sich eigentlich nicht lohnen. Da muss man klar widersprechen: Niemand würde ein Projekt planen, das am Ende kein Geld einbringt. Wenn man sich anschaut, wie viel Strom wir in Baden-Württemberg brauchen, wird schnell klar, dass es ohne Windkraft nicht geht.

Und das spüren wir ganz konkret: Große Firmen aus Industrie und Gewerbe wenden sich zunehmend an uns Projektierer. Sie möchten eigene Anlagen planen oder zumindest über Direktvermarktung regionalen, sauberen Strom beziehen. Ein Beispiel dafür ist die Carl Zeiss AG, für die Uhl Windkraft gerade einen Windpark mit zehn Windenergieanlagen und 40 Hektar Freiflächen-PV plant. Unternehmen wie Zeiss brauchen Versorgungssicherheit und wollen nicht darauf vertrauen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell genug vorangeht. Das ist ein klares Signal aus der Industrie, dass das Thema Windkraft eben nicht nur für den Klimaschutz wichtig ist, sondern auch aus wirtschaftlichem Interesse. Wirtschafts- und Energiepolitik gehören zusammen, und die hat ihre Zukunft in den Erneuerbaren.

Kommen Sie am 2. Oktober 2025 auf den Windbranchentag Baden-Württemberg in Böblingen. Gemeinsam gestalten wir den Dialog mit der Politik. Nutzen Sie außerdem die Möglichkeit zum Netzwerken in der großen Fachausstellung.

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