veröffentlicht am 03.12.2024 16:07
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Interviews
Projektplanung, Finanzierung & Vermarktung

Biomasseheizkraftwerk in Neustrelitz: „Unser Ziel war es, unabhängig zu werden“

Auch wenn es anfangs nicht nur Zustimmung gab: Das Biomasseheizkraftwerk in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) hat sich bewährt. Bürgermeister Andreas Grund über das Modell mit Wärme und Strom aus Resthölzern in einer waldreichen Region.
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Wärme und Strom aus regionalen Resthölzern

  • Ort: Neustrelitz im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, Mecklenburg-Vorpommern.

  • Anzahl angeschlossener Gebäude: 533 Haushalte, 38 öffentliche Gebäude und Einrichtungen.

  • Fernwärmenetz: 29 Kilometer.

  • Bioenergie: Biomasseheizkraftwerk (KWK-Anlage) mit 28,5 MW Feuerungswärmeleistung.

  • Anteil der Energiequellen an der Wärmeversorgung: 74 Prozent Bioenergie (naturbelassene Hackschnitzel), 25 Prozent Erdgas, ein Prozent Heizöl.

  • Holzverbrauch: 75.000 Tonnen pro Jahr, Anlieferung aus einem Umkreis von 40 Kilometern.

  • Jahr der Inbetriebnahme des Biomasseheizkraftwerkes: 2006.

  • Betreiber: Stadtwerke Neustrelitz GmbH (100 Prozent im kommunalen Eigentum).

Das Biomasseheizkraftwerk in Neustrelitz ist seit 2006 in Betrieb. Wie ist die Idee entstanden, bei der Energieversorgung neue Wege zu gehen und unter anderem auf Biomasse zu setzen?

Andreas Grund: Ziel der Stadt war es, eine Alternative zu Heizöl und Erdgas im Hinblick auf die damals bereits steigenden Investitions- und Betriebskosten anzubieten. Zudem wollten wir den Klima- und Ressourcenschutz sowie die Luftreinhaltung nachhaltig verbessern.

Wie sind Sie vorgegangen?

Grund: Im Vorfeld haben wir eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse uns in unserem Vorhaben bestärkten. Der Bau war damals ein Leuchtturmprojekt für den Klimaschutz, auch wenn es einige Skeptiker gab. Man hat uns belächelt, eine ganze Stadt mit Wärme und Strom aus Biomasse versorgen zu wollen.

Wer war an der Entscheidungsfindung beteiligt?

Grund: Wir als Stadtverwaltung haben eng mit unserer städtischen Tochter, den Stadtwerken, zusammengearbeitet. Gemeinsam wurde die Politik auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene überzeugt.

Und die Bevölkerung?

Grund: Natürlich kann solch ein Projekt nur mit den Einwohnerinnen und Einwohnern realisiert werden. Wir haben sie noch vor dem symbolischen, ersten Spatenstich informiert. Das Thema wurde in öffentlichen Veranstaltungen, ja sogar in den Schulen besprochen. Von Beginn an hatten wir uns die Philosophie der Transparenz auf die Fahnen geschrieben.

Welche Faktoren waren maßgeblich für Ihre Entscheidung für die Einbeziehung von Biomasse?

Grund: Unser Ziel war es, unabhängig zu werden. Holz ist in unserer Region ausreichend vorhanden, und mit Holzenergie ist man Energiekrisen weniger ausgeliefert — die Preise unterliegen nicht so starken Schwankungen wie bei den fossilen Brennstoffen. Unsere Stadtwerke konnten die Fernwärme in den vergangenen Jahren somit zu stabilen Preisen anbieten. Als Brennstoff nutzen wir jährlich etwa 75.000 Tonnen Hackschnitzel aus unbehandeltem Restholz, das bei der Durchforstung in den umliegenden Wäldern anfällt. Wir bekommen es von bis zu zehn Lieferanten aus der Region.

Welches Betreibermodell haben Sie gewählt?

Grund: Die Stadtwerke Neustrelitz übernehmen die Versorgung des Gemeindegebietes mit elektrischer Energie, Gas, Wasser und Fernwärme. Sie betreiben dazu seit 2006 das Biomasseheizkraftwerk, das gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Auch bei der Verteilung dieser Energie sind wir autark: Neben dem 29 Kilometer langen Fernwärmenetz besitzen die Stadtwerke das 20kV-Mittelspannungsnetz, über das der Strom zu den Kunden fließt.

Hat sich die Anlage bewährt?

Grund: Das Biomasseheizkraftwerk Neustrelitz liefert jährlich 45.000 MWh Strom und 63.000 MWh Wärme, wir sparen über 14.000 Tonnen CO₂ gegenüber fossilen Brennstoffen ein. Das sind beachtliche Zahlen! Insgesamt deckt das Heizkraftwerk fast drei Viertel des Wärmebedarfs von Neustrelitz ab. Der Strom, der in der Stadt verbraucht wird, stammt wiederum zu 72 Prozent aus erneuerbaren Quellen — aus dem Heizkraftwerk, aus Photovoltaik- und Biogasanlagen im Gemeindegebiet. Damit ist Neustrelitz auf dem Weg zur Klimaneutralität, denn physikalisch versorgen wir uns schon jetzt zu 90 Prozent mit erneuerbaren Energien.

Wie kommt die Anlage bei den Bürgerinnen und Bürgern an?

Grund: Zur großen Akzeptanz in der Bevölkerung haben Bausteine wie das Landeszentrum für erneuerbare Energie (Leea) beigetragen. Dieses Informations- und Erlebniszentrum für Klimaschutz und erneuerbare Energien hat sich zu einem touristischen Anziehungspunkt in der Mecklenburgischen Seenplatte gemausert. Wichtig ist ebenfalls, dass die Stadtvertreter dem Vorhaben zugestimmt haben, den Standort zu einem „grünen Gewerbegebiet“ zu entwickeln. Es sind weitere erneuerbare Anlagen geplant, unter anderem zwei Windenergieanlagen, außerdem Stromspeicher. Damit wollen wir den Einstieg in eine regionale Wasserstoffproduktion wagen.

Welche Erfahrungen haben Sie im Bereich der Lieferanten und Verträge gemacht?

Grund: Wir haben langfristige Verträge mit bis zu zehn festen regionalen Anbietern. Bislang lief die Zusammenarbeit gut, erst seit Beginn der Energiekrise gestaltet es sich zunehmend komplizierter, Holzhackschnitzel in der erforderlichen Menge zu ordern. Aufgrund der aktuellen europäischen Entwicklungen, die Holz auch über das Jahr 2030 hinaus als erneuerbar anerkennen, sind wir jedoch zuversichtlich, dass sich diese Situation wieder entspannen wird.

Was können Sie anderen empfehlen —und wie soll es in Neustrelitz weitergehen: Was planen Sie für die Zukunft?

Grund: Aus heutiger Sicht würden wir sicher größer bauen, möglicherweise mit einer Redundanzanlage, die ebenfalls Holzhackschnitzel nutzt. Wichtig ist es für ein solches Projekt, kompetente Energieberater und Planer ins Boot zu holen. Mit Blick in die Zukunft hoffen wir, die Kraftwerksasche wiederverwerten und den Energiekreislauf so weiter schließen zu können.

Interview: Sabine Schmidt; Nicole Paul, Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR)

Dieses Interview erschien zuerst in "der gemeinderat", Sonderheft „Die Besten“, Januar 2024.

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