Luftkrieg über der Nordsee

Da die maritimen Nutzungszonen nur begrenzten Platz bieten, müssen Windparkbetreiber ihre Offshore-Anlagen künftig näher aneinander bauen – mit der Konsequenz, dass sich einige Parks im Windschatten anderer befinden und die erzielbare Energieausbeute sinkt. Das hat finanzielle Folgen: Wird eine bestimmte jährliche Energieleistung nicht erreicht, verlieren die Betreiber viel Geld. Derzeit wird der Verlust mit Ausgleichszahlungen in sogenannten Nachlaufeffektverträgen aufgefangen.
Dem norwegischen Versorger Equinor reicht das nicht. Ende Mai beschwerte sich das Unternehmen darüber, dass durch ein geplantes Offshore-Windprojekt von RWE, Dogger Bank South, Nachlaufverluste für bereits bestehende Equinor-Windparks entstünden, und zwar in Höhe von 778 Millionen US-Dollar auf die gesamte Laufzeit bemessen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs: Insgesamt sind laut dem Beratungsunternehmen Tamarindo derzeit Windparkprojekte in britischen Gewässern mit einer Gesamtleistung von rund 20 Gigawatt in derartige Streitigkeiten verwickelt – die Branche spricht bereits von einem Luftkrieg über der Nordsee.
Das Phänomen des Winddiebstahls ist freilich nicht neu. Durch den schnellen Ausbau der Offshore-Areale und die größer werdenden Windparks entwickelt es sich nun aber zu einem veritablen Problem. Eine Anlage, die im Windschatten einer anderen gebaut wird, büßt selbst bei optimaler Planung bis zu zehn Prozent ihrer potenziellen jährlichen Energieleistung ein, hat das Fraunhofer-Institut für Windenergieleistung (Iwes) ermittelt. Je größer die Turbinen sind und je dichter sie stehen, desto größer ist der Leistungsverlust. Wenn eine Turbine angeströmt wird, entzieht sie dem Wind einen Teil der Energie. Dieser sogenannte Nachlaufeffekt könne sich bei großen Windparks mitunter hundert Kilometer weit erstrecken, so die Iwes-Forschenden.
Bei großen Windparks, die unmittelbar benachbart sind – sogenannten Windpark-Clustern – sei die Berechnung, wie sie die Energieausbeute ihrer Nachbarn beeinflussen, besonders komplex, sagt Pablo Ouro, Bauingenieur an der Universität Manchester. Bei zwei Windparks lasse sich relativ gut beurteilen, wie Windenergieanlagen stehen müssten, um optimal vom Wind angeströmt zu werden, bei Clustern sei das deutlich schwieriger. Sein Forschungsprojekt will die Nachlaufeffekte von Windparks mithilfe von Computersimulationen modellieren und ihre Auswirkungen auf die für das Jahr 2030 geplante Produktion von Windparks untersuchen. Die Forschenden gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren Tausende weitere Turbinen in britischen Gewässern gebaut werden. Zugleich werden die Rotorblätter immer größer und benötigen mehr Platz. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sollen bestehende und künftige Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Ländern vermeiden helfen.
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