veröffentlicht am 08.12.2024 17:29
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Projektplanung, Wirtschaft, Wissenschaft & Forschung

Charité CFM Facility Management GmbH und Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin wollen kaltes Nahwärmenetz entwickeln

Der Einsatz medizinischer Geräte wie MRT- und CT-Scanner, Computer-Server zur Verarbeitung und Speicherung enormer Datenmengen und auch die Kühltechnik in einer Klinik verbrauchen viel Strom und erzeugen Abwärme. Um ihre Energieeffizienz zu verbessern, setzt die Charité bereits heute auf erneuerbare Energien. Dennoch bleibt Potenzial zur weiteren Reduzierung des Verbrauchs und zur Nutzung von Wärmequellen, insbesondere durch innovative Technologien und nachhaltige Baupraktiken.
Prof. Dr. Jens Hermsdorf, Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (vorn links), und Simon Batt-Nauerz, CFM-Geschäftsführer und Leitung Geschäftsbereich Infrastruktur und Nachhaltigkeitsmanagement Charité (vorn rechts), unterzeichnen Absichtserklärung über gemeinsame Entwicklung eines kalten Nahwärmenetzes für das größte Universitätsklinikum Europas. Das Reallabor könnte zum Leuchtturm in Berlin werden. Foto: Sylke Schumann

Kaltes Nahwärmenetz für die Charité

Im Zuge des vom Land Berlin ausgeschriebenen Förderprogramms „Wertschöpfung durch Innovation im Quartier“ soll ein wirtschaftsorientiertes Reallabor entstehen, das in der Praxis erprobt, wie Energie- und Wärmeversorgung mittels kalter Nahwärme klimaverträglich gestaltet werden kann.

Schlüsseltechnologie für die Wärmewende

Der vermeintliche Widerspruch in der Begrifflichkeit dieser Schlüsseltechnologie für die Wärmewende beruht auf einem einfachen Prinzip: kalte Nahwärme nutzt die natürliche Wärme der Erde. In der Erde verlegte Rohre leiten Wärme an eine temperaturleitende Flüssigkeit weiter, die durch eine Pumpe in die Gebäude gelangt und dort für Heizung und Warmwasser sorgt. Die Temperatur ist geringer als bei klassischen Heizsystemen – daher der Name „kalt“ – und kann im Sommer auch zur Kühlung eingesetzt werden. Mit Solarstrom betrieben, wird hier ohne fossile Brennstoffe klimaneutral geheizt und gekühlt.

Energieeffizienz für historische Klinikgebäude

Die Umstellung auf kalte Nahwärme ist komplex – technische, organisatorische und regulatorische wie auch finanzielle Hürden müssen überwunden, Akzeptanz für die innovative Technologie geschaffen werden. Hinzu kommt, dass viele der über das Stadtgebiet verteilten Charité-Gebäude mit ihren insgesamt 45 000 Räumen und einer Fläche von einer Million Quadratmetern unter Denkmalschutz stehen. Beide Projektpartner sind überzeugt, dass sich Aufwand und Investition in das Vorhaben mit dem Titel „Kalte Nahwärmenetzte für Autarkie im Quartier“, kurz KWArtier, lohnen.

Energiekreislauf: Coole Lösungen für warme Räume

„Durch die Implementierung solcher Systeme könnte die Charité nicht nur ihre Energiekosten weiter senken, sondern auch einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie ihre CO₂-Emissionen weiter reduziert“,

sagt Simon Batt-Nauerz, Geschäftsführer der CFM.

Die Charité würde in dem kalten Nahwärmenetz die im Sommer durch Kühlung anfallende Abwärme im Erdboden speichern, statt sie an die Umgebungsluft abzugeben. Das reduziert den sogenannten Hitzeinseleffekt in städtischen Quartieren, der dadurch entsteht, dass die vielen versiegelten Flächen Sonnenstrahlung absorbieren und die Umgebung aufheizen. Die gespeicherte Wärme wird im Winter für die Heizung der angeschlossenen Räume genutzt.

Das für die Abwärmespeicherung geplante Erdsondenfeld – ein Feld mit geothermischen Bohrungen bis 100 Meter Tiefe – ermöglicht außer der Kühlung von Computerserverzentren zum Beispiel auch die passende Temperierung von Patientenzimmern in heißen Sommern. Denn die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in Berlin schon heute zu spüren und belasten Patientinnen und Patienten wie auch das Personal in den Kliniken. Die Hitzebekämpfung sieht Simon Batt-Nauerz als eine der größten Herausforderungen in der Infrastrukturentwicklung an und hält das angewandte Forschungsprojekt für einen vielversprechenden Lösungsansatz.

Enorme Reduzierung der CO₂-Emissionen

Eine Machbarkeitsprüfung der Deckenheizung und -kühlung für Patientenzimmer, die im Zuge des Projektantrags am Charité Campus Virchow-Klinikum durchgeführt wurde, ergab, dass der Deckungsanteil der Heizung bei 96 Prozent und der Kühlung bei 90 Prozent liegen würden. Mit einer Ausweitung des Projektes auf den gesamten Campus könnte die aktuell erreichbare Reduktion von jährlich 110 Tonnen CO₂-Emissionen auf 806 Tonnen pro Jahr gesteigert werden. Die Stadt würde durch notwendige Kühlung nicht weiter aufgeheizt.

Wegweisendes Reallabor zur Nutzung regenerativer Wärme- und Kältequellen

Sollte die HWR Berlin den Zuschlag für das Vorhaben vom Land Berlin bekommen, würde es im April 2025 mit der detaillierten Planung losgehen. KWArtier wäre ein Leuchtturmprojekt mit Strahlkraft weit über Berlins Grenzen hinaus. Bisher fehlen Umsetzungsbeispiele für kalte Nahwärmenetze in Bestandsquartieren, führen die Forschungsprojektleiterinnen Prof. Dr. Andrea Pelzeter und Prof. Dr. Silke Bustamante an.

Die Wissenschaftlerinnen der HWR Berlin wollen gemeinsam mit ihrem renommierten Praxispartner vorführen, wie regenerative Wärme- und Kältequellen nutzbar gemacht werden können. Dafür soll ein modulares System getestet werden, das je nach Bedarf in anderen Quartieren angewendet und erweitert werden kann. Außerdem sollen neue Geschäftsmodelle rund um kalte Nahwärmenetze erarbeitet werden – damit geht es in diesem Reallabor zum ersten Mal weit über technische Überlegungen hinaus, wirtschaftliche, regulatorische und soziale Komponenten finden ebenfalls Berücksichtigung.

Quelle: Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin